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Denkmal für deutsche Vertreibungs-„Opfer“ verhöhnt die Shoah

Von MAREK EDELMAN

Viele Leute litten während des Zweiten Weltkriegs, darunter auch Deutsche. Aber damit keine Mißverständnisse aufkommen: Millionen Volksdeutsche, die nach dem Sieg über die Nazis aus ihren Häusern in Osteuropa vertrieben wurden, als Opfer zu bezeichnen, ist eine Verhöhnung des Holocaust
Seit 2000 sammelt eine Vereinigung, die ca. 2,5 Millionen Heimatvertriebene und ihre Nachkommen vertritt, Geld und Unterstützung, um ein verschwenderisch ausgestattetes geschichtliches Zentrum nahe dem fast fertiggestellten Holocaustdenkmal zu bauen. Der Bund der Vertriebenen plant, das Leid der deutschen „Opfer“ zu dokumentieren und zu erinnern. Der BdV will, daß die deutsche Regierung den 5. August zum „Gedenktag für Vertreibungsopfer“ erklärt. Er will auch den polnischen und tschechischen Beitritt zur EU von Entschädigung für Grundeigentum und Schadenersatz für Zwangsarbeit an deutsche Vertriebene abhängig machen.
Natürlich tut es weh, aus seinem Haus vertrieben zu werden, aus seinem Land vertrieben zu werden. Während des Krieges mußte ich ungefähr zwanzigmal umziehen. Ich wollte nicht, aber entweder zwangen mich die deutschen Behörden, umzuziehen, oder ich mußte untertauchen um dem Tod durch ihre Hand zu entkommen. Trotzdem konnte ich irgendwie damit leben, umzuziehen. Wenigstens blieb ich am Leben.
Aus deinem Haus vertrieben zu werden ist sicher ein dramatisches Ereignis im Leben der Vertriebenen. Aber Vertreibung brachte die Vertriebenen nicht um. Der Holocaust tötete 6 Millionen Juden.
Wahrlich, einige Volksdeutsche starben während ihrer Vertreibung. Allerdings war ihr Tod nicht beabsichtigt; das war ein Teil des Schreckens, der der Zweite Weltkrieg war.
Die Tötung von 6 Millionen Juden im Holocaust andererseits war vom Anfang der Endlösung an geplant – und unterstützt von vielen derjenigen Vertriebenen, die jetzt neben den Opfern des Holocaust an ihr Leid erinnern wollen.
Jeder Krieg bringt den Tod von Leuten auf beiden Seiten mit sich. Im Gedenken an ihr Leiden sollten – und dürfen – die Deutschen nicht vergessen, daß der Zweite Weltkrieg ein Krieg war, den sie wollten. Das deutsche Volk unterstützte Hitler. Sie wollten Herren der Welt sein und wären es geworden, wäre nicht Amerika in den Krieg eingetreten.
Obwohl das offensichtlich die Praxis nicht rechtfertigt, ist es wert, daran zu erinnern, daß Massenabschiebungen von allen europäischen Diktaturen praktiziert wurden. Die Kommunisten siedelten – um ein paar zu nennen – Tataren, Tschetschenen, Deutsche, Letten, Litauer und Esten um. Sie schoben auch Juden ab, was wohl einigen von ihnen das Leben rettete. Polen wurden nach Sibirien abgeschoben und andere Polen wurden in Teile von Vorkriegs-Ostdeutschland umgesiedelt, die in Polen eingegliedert wurden.
Niemand allerdings beabsichtigt, diesen Leuten Denkmäler zu errichten. Was also unterscheidet die deutschen Vertriebenen?
Die Antwort ist klar und einfach: Politik. Die Kampagne, ein den deutschen Vertriebenen gewidmetes Zentrum zu bauen, ist nichts als ein nationalistischer, chauvinistischer Zug. Es scheint, daß die Überzeugung, die Deutschen hätten nicht genug Lebensraum, immer noch im Unterbewußtsein der Deutschen schwelt. Wie anders wäre der Versuch zu erklären, deutschen Grundbesitz in Osteuropa zurückzufordern, denn als Drang nach Osten?
Trotz der Anstrengungen vieler guter Deutscher ist der Nationalismus in Deutschland heute immer noch eine Kraft. Achtundfünfzig Jahre mögen einigen als eine lange Zeit zu erscheinen, aber die Geschichte vergeht nicht, ohne Spuren zu hinterlassen. In Anbetracht der Geschichte des Holocaust müssen Deutsche doppelt behutsam sein. Sie müssen an den Prinzipien der Demokratie festhalten, an den Idealen der Menschenrechte. Sie müssen jede Erscheinungsform des Nationalismus bekämpfen, jeden Ansatz eines ethnisch gleichförmigen Staates.
Die Entnazifizierung Deutschlands endete weniger als ein Jahrzehnt nach dem Untergang des Dritten Reichs. Das vorgeschlagene Zentrum für deutsche Vertriebene allerdings läßt mich fragen, ob der Prozeß bis jetzt nicht unvollendet ist.
Die Deutschen, mit ihrer Geschichte, sind kein normales Volk. Ein Volk, das tätig und vorsätzlich Millionen ermordete, kann nicht normal sein. Solange auch nur eine Minderheit danach strebt, Teil des Herrenvolks zu sein, muß die Mehrheit der Deutschen mit gutem Gewissen für die Schuld ihrer Väter und Großväter Buße tun.
Trotz meiner Vergangenheit will ich mich nicht an Deutschen rächen. Ich habe keinen Streit mit ihnen und einige von ihnen zähle ich zu meinen besten Freunden. Aber als polnischer Jude kann ich deutsche Vertriebene nicht als Opfer ansehen. Das wäre so, als ob ich mich selbst für einen Henker halten würde.
Deutsche sollten nicht mit ihrem Unglück im Zweiten Weltkrieg prahlen, denn sie verdienen kein Mitleid. Ihr Los sollte Sühne sein, für viele kommende Generationen. Ohne Buße werden die Deutschen ihren Hochmut wiedererlangen, ihre Anmaßung. Das Andenken des Holocaust erlaubt das nicht.

Dr. Marek Edelman ist der letzte überlebende Anführer des Warschauer Gettoaufstands.

Aus FORWARD, 12. September 2003   Übersetzung aus dem Englischen: Max Raphael
 

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