Im Folgenden dokumentieren wir unseren Beitrag zum Tag X - ein
Flugblatt, das wir auf der heutigen Schülerdemo gegen den Krieg in
Berlin verteilt haben.
Zu Dingen, von denen man keine Ahnung hat, sollte
man lieber den Schnabel halten. Leute wie Ihr, die sich sonst für
nichts, aber auch gar nichts interessieren, außer für die
Frage, ob ein Piercing in der Zunge oder in der Nase schicker ist,
sollten daher nicht plötzlich glauben, sich zur Weltpolitik
äußern zu müssen. Terroristen steuern vollbesetzte
Flugzeuge in Wolkenkratzer, in Nigeria werden Hunderte massakriert,
weil sie sich einen langweiligen Schönheitswettbewerb anschauen
wollten, im Nahen Osten träumen Massenbewegungen davon, die
Bevölkerung Israels auszulöschen, die Machthaber in Nordkorea
drohen mit ihrer Atombombe – und Euch fällt nichts besseres ein,
als mitten im größten Chaos zur Gewaltlosigkeit aufzurufen
und für „Frieden“ zu demonstrieren. Die Welt hat zu ernsthafte
Probleme, um sich Eure kindischen Lösungsvorschläge
anzuhören. Normalerweise lasst Ihr keine Gelegenheit aus, um
demonstrativ zu betonen, dass Euch die Politik am Arsch vorbeigeht,
aber ausgerechnet dann, wenn im ganzen Schlamassel einmal etwas
vernünftiges geschieht und ein antisemitischer Diktator abgesetzt
werden soll, steht ihr auf und ruft überzeugt und mutig „Nein!“.
Und dann besitzt Ihr, die Ihr auf Euren Partys die Musik so laut
aufdrehen müsst, damit Ihr eine Ausrede habt, um Euch mit Euren
angeblichen Freunden nicht unterhalten zu müssen, denen Ihr nichts
zu sagen habt, auch noch die Schamlosigkeit, zu behaupten, ihr
würdet Mitleid mit den Menschen im Irak empfinden. Wahrscheinlich
würdet ihr das Land noch nicht mal auf der Karte finden. Klar, die
Jugend muss Fehler machen, um aus ihnen zu lernen. Aber was zu weit
geht, geht zu weit.
Anstatt jedoch ihrem Erziehungsauftrag nachzukommen
und Euch zur Ordnung zu rufen, ermutigen Eure werten Eltern, Lehrer und
Sozialarbeiter Euch auch noch zu Eurem dummdreisten Tun. Es ist ihnen
nicht einmal zu peinlich, sich selber plärrend in die erste Reihe
des Kinderhaufens zu stellen. Und Ihr lasst es Euch gefallen.
Demonstriert einträchtig mit denjenigen, die Euch im Alltag mit
Strafarbeiten, sinnlosen Leistungsanforderungen und heulsusigen
Moralpredigten piesacken. Wenn ihr später Euren Freunden von dem
ach so tollen Gemeinschaftsgefühl auf der Friedensdemo
erzählt, so offenbart ihr damit Euren Sklavengeist. Eine Jugend,
die nur einen Funken Freiheitsdurst verspürte, würde ihre
Gefühlsbindungen abseits der Masse und vor allem unter Ausschluss
der spießigen Alten suchen. Hier aber marschiert der
Nachwuchspunker Hand in Hand mit seiner Sozialkundelehrerin – ein
Bündnis wider die Natur.
An dieser seltsamen Eintracht der Generationen zeigt
sich im Kleinen, was der „Frieden“, für den da demonstriert wird,
im Großen bedeutet. Was um alles in der Welt hat Herr Rumsfeld
mit Euren Beziehungsproblemen oder den Geldsorgen Eurer Eltern zu tun?
Während alle gemeinsam gegen den fernen Bush demonstrieren,
kündigt der Bundeskanzler Maßnahmen zur Senkung des
Lohnniveaus in großem Ausmaß an. Anstatt gegen diese
Ausraubung aufzubegehren, halten die Massen auf den Friedensdemos
Plakate hoch mit der Aufschrift: „Durchhalten Gerd!“ Anstatt zum Streik
aufzurufen, unterschreiben die Gewerkschaften Petitionen gegen den
amerikanischen Krieg. Die eigenen Alltagsprobleme und mehr noch deren
Ursachen werden aus dem Bewusstsein getilgt, indem man sich einredet,
man müsse sich für den Weltfrieden einsetzen. Die Wut
über die Widrigkeiten, denen man ständig ausgesetzt ist, wird
verdrängt und die angestaute Aggression entlädt sich,
einstweilen noch verdruckst, in feigen Gemeinheiten gegen den
Klassendeppen oder die unsichere Referendarin, die sich nicht wehren
kann. Dem Schimpfen über die arroganten Amis liegt das selbe
Muster zugrunde: weil man den Mut nicht aufbringt, sich gegen die
wirklichen Peiniger – etwa die schikanierende Sachbearbeiterin auf dem
Bafög-Amt oder die Schergen von der BVG - zur Wehr zu setzen,
erfindet man sich einen äußeren Feind, gegen den man
gefahrlos die Fäuste ballen und sich einbilden kann, man sei
rebellisch. Worum es also auf den Friedensdemos geht, ist der „soziale
Frieden“ – das Bündnis zwischen Kapital und Arbeit, zwischen
Ausbeutern und Ausgebeuteten. Es geht darum, unter allen Umständen
friedlich in der Schule oder an Arbeitsplatz seine Aufgabe zu
erfüllen und auch über die ärgsten Schikanen niemals zu
murren.
Friedensbewegungen sind Vorbereitungen auf den
Ernstfall. Indem die Beteiligten sich darauf einschwören,
friedlich alle kommenden Entbehrungen zu ertragen, bereiten sie das
ruhige Hinterland vor, das nötig sein wird, wenn wieder einmal
drastische Maßnahmen gebraucht werden, um die Herrschaft zu
retten. Wenn in der Krise die Masse der überflüssig
produzierten Güter und der nutzlos gemachten Menschen so
groß geworden ist, dass nur mittels Vorbereitung und
Durchführung einer großangelegten Zerstörungsaktion der
Laden am Laufen gehalten werden kann, ist absolute Schmiegsamkeit des
Menschenmaterials gegenüber den Befehlshabern erforderlich. Dann
kann sich endlich auch Euer verborgenes Zerstörungspotential
ungehemmt austoben, dessen Ausmaß der Amoklauf eines Eurer
Kameraden in Erfurt erahnen ließ, über den Ihr allesamt nur
deshalb so betroffen wart, um vor Euch selbst zu verbergen, dass Ihr es
ihm insgeheim gerne nachtun würdet. Euer Frieden meint die
Friedhofruhe einer Gesellschaft, in der sich nichts mehr regt, weil
alle schicksalsergeben dem Verderben entgegenlaufen.
In Deutschland hat der Friedensschluss zwischen oben
und unten historisch besonders reibungslos geklappt. Die Deutschen
taten im Nationalsozialismus willig und beflissen ihre Pflicht, wenn
ihre Arbeit auch bald die des Tötens war. Anders als die
Amerikaner heute, deren Fahnen man zwar verbrennt, denen man aber
ansonsten bisher noch wenig anhaben kann, wurde die Juden als
diejenigen, gegen die sich damals die Aggression richtete, wirklich
ermordet. Dieser gemeinsam begangene Mord war der Grund, warum die
deutschen Gesellschaft auch dann noch zusammenhielt, als längst
klar war, dass die Nazis kein tausendjähriges Reich errichten,
sondern einen Kontinent in Schutt und Asche legen würden. Die
Deutschen waren weder Patrioten, noch hatten sie irgendwelche Ideale zu
verteidigen – aber sie blieben selbst dann noch friedlich
gegenüber ihren Herrschenden, als ihnen die Bomben der englischen
und amerikanischen Flieger auf den Kopf regneten – anders als die
Iraker, welche im Golfkrieg 1991 den Aufstand wagten und die USA als
Befreier begrüßten. Dieser Durchhaltewillen ist es, der auf
Friedensdemonstrationen eingeübt wird.
Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus blieb der
soziale Frieden gewahrt. Die Deutschen waren stolz auf ihre
Trümmerfrauen, die sich für den Wiederaufbau des Vaterlands
aufopferten, für die eigene Misere machte man die Besatzer oder
den Führer höchstpersönlich verantwortlich, ohne daran
zu denken, dass man ihm noch vor kurzem zugejubelt hatte. Erst Ende der
60er Jahre rafften sich einige Studenten dazu auf, den bleiernen
Frieden anzukratzen. Sie empörten sich über ihre Eltern, die
sich am Morden in der Nazizeit beteiligt oder ihm tatenlos zugeschaut
hatten, waren frech zu ihren Professoren und spielten ein bisschen
Barrikadenkampf. Aber bald bekamen sie es mit der Angst zu tun, wegen
der versäumten Studiensemester bei der anstehenden Postenvergabe
im öffentlichen Dienst leer auszugehen und beeilten sich daher,
ihren Frieden mit denen zu machen, die sie zuvor verächtlich das
„Establishment“ genannt hatten. Bei denen, die man sich einen
Augenblick lang zu hassen getraut hatte, biederte man sich jetzt wieder
an – die Wut musste heruntergeschluckt werden. Dies ist ungesund und es
bekam den ehemaligen Rebellen schlecht: Sie wurden mit
Frühvergreisung geschlagen und sind seither so lustlos, verlottert
und unerträglich, wie Ihr sie aus der Schule, der Politik oder dem
Elternhaus kennt.
Ihr dagegen bringt es nicht einmal zu einer Pseudorebellion. Mit hoher Wahrscheinlichkeit droht Euch daher nicht das Schicksal Eurer Eltern – verstaubtes Dahinvegetieren in Wohnungen, die wie die Ausstellungsräume im Möbelgeschäft wirken – sondern weit schlimmeres. Die 68er-Generation durfte, nachdem sie zum bruchlosen Konformismus zurückgefunden und ihre ehemaligen Genossen an die Staatsgewalt verraten hatte, in den 80er Jahren zwar ihren Durchhaltewillen zur Schau stellen, indem sie für den Frieden des deutschen Vaterlands gegen amerikanische und russische Raketen auf die Straße ging – gebraucht wurde ihr Untertanengeist in der noch anhaltenden Schönwetterperiode der Nachkriegskonjunktur noch nicht. Diese Schonfrist ist seit 1989 beendet, die Absatzkrisen des Kapitals verschärfen sich und der Ernstfall rückt näher. Wahrscheinlich wird es beim Sandsackschleppen an der Elbe nicht bleiben und Ihr könntet schon bald das Schicksal Eurer Großeltern teilen, die in Dresden oder Stalingrad bluten mussten. Es bleibt der Trost, dass die Amerikaner auch diesmal die besseren Waffen haben werden. Von Euren künftigen Opfern reden wir erst gar nicht – an Euer Mitgefühl zu appellieren hat wenig Sinn. Wenn es dann aber zu spät ist und Ihr heulend und zähneklappernd im Schützengraben liegt oder im Luftschutzkeller um Euer Leben zittert, dann behauptet bitte nicht, Ihr wäret nicht vorher gewarnt worden.
Antideutsche Kommunisten Berlin
www.antideutsch.tk